Der Übersetzer ist tot – lang lebe der Übersetzer

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BDÜ Fachkonferenz 2019

Aber nein, von Begräbnisstimmung war auf der BDÜ-Fachkonferenz „Übersetzen und Dolmetschen 4.0“ in Bonn nichts zu spüren.  Wohl war eine gewisse Nachdenklichkeit der Ausgangspunkt einiger Vorträge, doch diese hatte die Referenten noch stärker angetrieben, kreativ und konstruktiv über Lösungen, neue Ansätze und ein anderes Selbstbild von Übersetzern und Dolmetschern nachzudenken.

Übersetzen und Dolmetschen in Zeiten des Branchenumbruchs

Den dringenden Wunsch nach Orientierung nannten viele Teilnehmer, wenn sie nach der Motivation für ihre Konferenzteilnahme gefragt wurden. Wie müssen wir die Bedeutung der maschinellen Übersetzung (MÜ) in der Branche einordnen? Wird die MÜ wirklich den ganzen Berufsstand ersetzen und entbehrlich machen? Und gilt das auch für das Dolmetschen, wo die Kollegen fürchten, durch maschinelle Spracherkennung oder „Remote Interpreting“ aus Billigländern verdrängt zu werden? Welche neuen Kompetenzen machen unser Berufsfeld zukunftssicher?

Keine Lachnummer mehr

Experten aus der Sprachenbranche, Forschung und Lehre beleuchteten nüchtern den Stand der Technik und zeigten die Entwicklung der neuronalen maschinellen Übersetzung (NMT) und deren Grenzen auf. Sie warnten davor, sich als Sprachprofi nur über Fehlübersetzungen der Maschinen zu amüsieren oder die MT gar zu ignorieren. Denn gerade Übersetzer, die den Massenmarkt bedienen und eher einfachere Texte übersetzen, oder Kollegen, deren Kunden mit niedriger oder moderater Übersetzungsqualität zufrieden sind, stehen in starker Konkurrenz zur NMT.

Postediting nach Zeitaufwand als Alternativtätigkeit?

Viele Übersetzer und Übersetzerinnen werden mittelfristig ihr Einkommen – zumindest ergänzend – mit der Nachbearbeitung maschinell übersetzer Texte verdienen. Dieses „Postediting“ ist eine komplexe Art der zweisprachigen Übersetzungsrevision, die neue Kompetenzen erfordert. Dafür muss die Branche dringend neue Vergütungsmodelle entwickeln, die sich am Aufwand orientieren anstatt an einem Wortpreis, der sich qualitätsunabhängig vom Ausgangstext ableitet.

Der Humanübersetzer – ein Profi in der Nische

Zwar nimmt der Gesamtbedarf an Übersetzungen weltweit massiv zu, aber primär in jenem Marktsegment, das sich für die NMT eignet. Der Bedarf an HUMANübersetzungen hoher Qualität wird dennoch hoch bleiben – beispielsweise in den stark regulierten Fachgebieten wie Recht und Medizin, in Nischenbereichen oder im Bereich der kreativen Sprachadaption (Transkreation). Die Ergebnisse der NMT sind außerdem längst noch nicht für alle Sprachen brauchbar.

Neue Kompetenzen für innovative Sprachberufe

In vielfältigen Workshops und Kurzseminaren machten die Referenten den Teilnehmern bewusst, welch vielfältige Wissensarten und Kompetenzen erforderlich sind, um Premiumtexte zu produzieren und Übersetzungsprozesse professionell und kundenfreundlich zu gestalten.

So sind Kundenwissen, Zielgruppenkenntnis, Branchenwissen, Methodenwissen, Kontextverständnis und Textsortenkompetenz nur ein paar Felder, in denen menschliche Sprachexperten dem maschinellen Output weit überlegen sind. In diesem Sinne empfahlen die Vortragenden, diese speziell menschlichen Kompetenzen auszubauen und selbstbewusster einzusetzen.

Innovationsfreudige Übersetzer, die ihre Kunden als Partner auf Augenhöhe sachkundig beraten, die maschinelle Übersetzung effizienzsteigernd und professionell als „ein Werkzeug von vielen“ einsetzen, werden die Welle der digitalen Technik reiten und nicht unter ihr begraben werden. Das nennt man dann „Augmented Translation“.

Der Übersetzer ist tot? Von wegen.

Übersetzer arbeiten technisch bestens ausgestattet in der Nische, bilden sich weiter zum Transkreativ-Experten, zum Language Engineer, zum Translation Process Manager oder Linguistic Consultant, zum Profi für audiovisuelle Sprachübertragung oder sie bieten einen ganze Palette unterschiedlicher Dienstleistungen an. Die Teilnehmer an der Fachkonferenz des BDÜ in Bonn sind bereit: Übersetzen 4.0 hat längst begonnen!

1000 Übersetzer und Dolmetscher bei der Zukunftskonferenz 2019 des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer.
1000 Übersetzer und Dolmetscher diskutieren über die künftigen Chancen ihrer Berufe.